Searching For The Mid-Old Hedo-Rebels
Words: Linus Volkmann, Thomas Venker, Linus Volkmann. Photographer: Oominik Gigler
Taken from Intro Magazine, November 2001

Until such a time as I can get a decent translation of this article, we'll have to rely on freetranslation.com. Enjoy!

Eine neue Platte der Band Pulp das schwelt ja schon lang lang lange. Eigentlich also kein Grund, sich zu stressen. Als sich dieses Jahr aber die Zeichen immer mehr verdichteten, sollte es doch verdammt spannend werden. Und statt durch die ausgetretenen Pfade van lch-will-was-mit-Medien-und-möglichst-auch-was-mit-Pop-machen direkt zum halbstündigen Interview im Hotel nebenan hofiert zu werden, ging es bei dieser Story über Stock und Stein und so. Ach, und überhaupt Pulp. Nie war die Verheißung der androgynen Tanzfläche greifbarer, nie war Hedonismus attraktiver, begehrenswerter - nie aber auch endlicher in seinem Verzehren und in der Drohung, umzukippen in Selbstekel, als auf ihrem letzten Album "This Is Hardcore". Remember 1998. Was würde jetzt sein? Wie lange konnte Sänger Jarvis Cocker hauchen: "Will you come to me when the party is over?" Und wie kommt man an eine Band ran, die offensichtlich kein Interesse hat an Presse, an Promotion, gor an ausländischer Presse Promotion? Nun, sie musste eben gesucht werden, aufgetrieben werden. Also, lass uns losgehen.

EARLIER THIS YEAR

Autodidakten vor. Denn all dieses journalistische Recherche-Zeug, wie es uns die entmenschten Ausbilder im Schlamm der Grundausbildung der Henry-Nannen-Schule mit der Reitgerte eingeprügelt hatten - hier zog es nicht. lch meine, das war Pulp! Das war nicht irgendein Scheiß, den auch Stefan Aust versteht. Finde Band X.

Auf dem Oberhausener Kurzfiimfestival in diesem Frühjahr fragen Kollege Venker und ich ein Interview mit dem Kurator der Larry-Jordan-Filme an. Der Name des britschen Kurators, der bereits im zweiten Jahr hintereinander auf dieser Veranstaltung eine Funktion übernommen hat, ist Mark Webber (foto a). Und, lass uns hier gleich mit offenen Karten spielen, neben seinen Verdiensten als one-film-wonder spielt ouch folgende Tatsache eine Rolle, ihn interviewen zu wollen: Mark ist Gitarrist bei Pulp. Von denen zu der Zeit gerade das Gerücht kursiert, ihr neues Album müsse trotz eines anderen Produzenten und erneuter Aufnahmen wieder verschoben werden. Wohin eigentlich noch?

"Hi, Mark", denke und sage ich irgendwann gegen Mittag im Iängst aufgegebenen Oberhausen, das gerade in seiner jährlichen Agonie erstrahlt und die Trabanten-Festival-Stadt gibt. Mark ist ein zutraulicher, hoflicher und kleiner Mann. Festes Mitglied bei Pulp erst seit 1995, daver spielte er allerdings schon lange Gitarre bei den Live-Sets und betrieb den offiziellen Fan-Club.

Wir beschließen, Mark in ein naheliegendes Café zu verschleppen, um uns durch Unauffindbarkeit gegenüber der Promotionbeauftragten des Festivals des Korsetts von halbstündigen Interview-Slots aktiv zu entledigen. Lange Gesichter vielleicht bei jenen, die man nach uns auf die "time schedule" gesetzt hat. Aber auch die sollten es doch eigentlich wissen: Pop ist Gewalt. Oder zumindest gewaltig genug, Rigorismus zu entschuldigen. Mark gibt dann auch - entgegen den Befürchtungen, es nicht zu tun - bereitwillig Auskunft über dieses neue Album, inklusive der Probleme, die es seit nun mehreren Jahren hängen und haken lassen. Einiges davon schrieb ich in dem Warm-up-Text zu dieser Story über eben Mark Webber, der im letzten Intro erschien. Die Älteren unter lhnen werden sich sicher noch daran erinnern.

Mark schwärmt dabei nicht vom neuen Produzenten, von Scott Walker himself, Mark beschreibt, wie sich mit dem AIten, Chris Thomas, nicht mehr zu arrangieren war und wie die Band es ausholten musste, eine ganze, fast komplett eingespielte Platte wieder ins Nichts zu befördern. Und mit selbigem dazustehen, und das, obwohl als Duktus des neuen Albums geplant war, in aller Einfachheit, Schwäche, Stärke und Unmittelbarkeit Pulp sein zu wollen - ohne große Effekte. An einer Rock-Oper zu scheitern ist sicher viel leichter zu ertragen als daran, jetzt endlich mal man selbst zu sein. Marks Erzählungen klingen dabei offen gesagt nicht sehr vielversprechend, spricht er doch gar davon, man suche innerhalb der Band nicht Nähe, sondern Distanz. Alles, was Mark zu sagen hat, klingt müde, fast ein wenig entnervt vom Thema Pulp. Burn out. Vielleicht liegt es am hoch aufgeschütteten Erwartungsdruck oder aber an zu vielen Nächten, die die Band spüren: es ist kalt im Schatten von "Different Class" und "This Is Hardcore". Für letztere Metapher wurde ich bereits mehrfach vom Presserat abgemahnt. Aber hier und jetzt kann ich sie bringen. Und selbst wenn nicht - man denke daran, dass auch Pulp nicht immer so obenauf waren, wie es die jüngste AIben-Vergangenheit glauben machen will. Denn dem Erfolg seit, dem Anfang/Mitt-Neunziger-Hit "Common People" gingen für die ja bereits 1978 gegründete Band nicht weniger als 15 Jahre living-on-the-edge-of-fast-gar-nichts voraus. In diesen Zusammenhang gestellt, mochte sich auch das Vertrauen wiedereinstellen, dass sie diese Durstoder zumindest Umleitungsstrecke locker überstehen würden. War zumindest ernsthaft zu hoffen.

AS TIME GOES BY

Ein paar Monate später, zur Popkomm im August, ist es dann soweit. Es gibt etwas zu hören. Fünf Tracks von der simpel "Pulp" betitelten Platte. Das siebte Album selftitled? Smells like Verlegenheit, raunt man sich im Affekt zu. Aber vor derart diffuse Kritik hat das Schicksal zu Recht die Listening Session gestellt. Listening-Session - Pulp ist also auch von offizieller (Plattenfirmen-) Seite als heißes Herbst-Ding veranschlagt, so dass man nicht gewillt ist, den Tonträger vor Veröffentlichung auszuhändigen. Damit nur nicht auf den zersplitterten Post-Napster- Krücken zu früh etwas auftaucht, was Verkaufserwartung schmälert. Das ist hysterische Ökonomie - und wer würde in solchen Positionen andere Entscheidungen treffen wollen? Sympathy for the record-industry - schließlich hält sie nun fünf neue Pulp-Tracks in diesen Tag rein. Und die bestätigen, was schon im Gespräch mit Mark anklang: die Band verfolgte bewusst nicht das Interesse, einen Aufguss ihres letzten Hit-Albums, ja, Hit-Ansatzes zu machen. Die Stücke klingen bedächtig, weisen gar zürdck auf ihre (name it:) erfolglosen Eighties-Roots, deren Sound sehr deutlich Folk-Anleihen mit sich führt. In dieses Bild passt dann auch, dass der neue Produzent, dass Scott Walker herauszuhören ist (das schnippische und ehrfurchtsvolle "Bad Cover Version" des finalen AIbums handelt van Walker). Jener ist vorher nie als Procuzent tätig gewesen. Das hier ist first try und wow. Und die Band, speziell Jarvis, hat für ihn ohnehin nicht weniger als Bewunderung, fast Lielbe übrig. Hundert Irrwege, falsche und richtige Fährten überspringend, wird sich das im O-Ton Jarvis' und Steves (Mackey) so anhören:

Steve: "Scott Walker hat einen großen Anteil an diesem AIbum - denn die Aufnahmen mit ihm waren die letzte Chance, das Material einzuspielen, ohne dass wir hätten sagen müssen: no more! Er hat uns neue Motivation gegeben."

Jarvis: "Er hat uns einfach auch dazu gebracht, unsere Stimmung zu ändern. Wenn wir mit jemand anderem gearbeitet hätten, hätten wir bestimmt nicht diesen Enthusiasmus besessen, alles noch mal einzuspielen. Aber wenn du mit jemandem arbeitest, den du so lange Zeit bewundert hast, dann willst du dich nicht schlecht aussehen lassen. Es wäre wirklich idiotisch, mit einem deiner Helden zu arbeiten und daraus nicht Kapital zu schlagen."

Steve: "Er ist kein hauptberuflicher Produzent. Er ist nicht der Typ, der dir mit scheiß technischen Kniffen ankommt, er kommt statt dessen mit Ideen an, wie du deine Emotionen in den Song bekommen kannst. Und nichts anderes zählt wirklich."

Zurück zur Listening-Session. Der Sound und nicht nur der, sondern ganz offensichtlich auch die gesamte Intention der Band zeigen sich einem Paradigmenwechsel unterlegen. Doch bevor über Textstudium mit den Ohren am Hi-fi rauszufinden wäre, was jetzt so angesagt ist in der auf Geschlechtergrenzen spuckenden (aber doch nach immer klar heterosexuellen) Folk-Pop-Disco-2001, wird der Tonträger folgerichtig weggeschleppt. Kollege Venker und ich versuchen die schmächtige Promoterin aus einer Laune heraus zu überwältigen, sind aber nicht kräftig genug. Zurückgelassen werden wir zumindest mit dem AusIblick darauf, Jarvis würde demnächst mehrere Tage Station in Deutschland machen, über sein Album sprechen, ein DJ-Set performen und, ja, auch unsere Idee, mit ihm zu kochen, sei im Bereich des Möglichen.

DON'T BELIEVE THE HYPE

Nicht viei später sagt ihro Jarviskeit seinen kompletten Festland-Trip ab. (Und man sieht sich frusty züruckerinnert an seinen letzten Deutschlandaufenthalt, bei dem er über "This Is Hardcore" sprechen wollte und der zusammengestrichen in einer Farce von Pressekonferenz endete.) Später wird Cocker uns weismochen wollen, er habe wegen der TerroranschIäge gecancelt - die zu dem Zeitpunkt dieser Absage allerdings noch gar nicht stattgefunden hatten und sicher nur in den engsten Insider-Kreisen bekannt waren, zu denen man Pulp trotz aller Hipness nicht rechnen dürfte. Nach eigenen Angaben halte Jarvis einen Highjack mit ihm im Flieger zwor für allzu unwahrscheinlich, aber so es Krieg gäbe, wolle er gefälligst lielber in London bei seinen Freunden sterben.

BELIEVE I CAN FLY

Keine Interviews, zweimal fünf Songs gehört, und der Plattentitel wurde von "Pulp", so hört man, zu "Pulp Loves Life" geändert. Das ist doch nie im Leben es-ist-genug-für-alle-da. Das ist ein Witz. Wie im Echtzeit- Adventure bleibt nur noch, das Equipment-Menü, also die im Laufe der Geschichte aufgesammelten Gegenstände aufzurufen. Und, okay, es geht noch waiter. Die in aller Beiläufigkeit Mark Webber abgeschwatzte Visitenkarte (natürlich mit der Vorahnung, sie eines Tages bitter zu brauchen) muss es bringen. Mark anrufen. Der geht sogar dran. lch bluffe, mit Thomas dieses Wochenende ohnehin in London zu sein, und da könnte man sich doch mal... auf einen Kaffee... und, ja, Jarvis vielleicht mitbringen und überhaupt... Mark willigt in aller Höflich - und Überrumpeltkeit ein. Nothing's gonna stop us now, finde ich, und die Flüge werden auch in unsicheren Zeiten gebucht. Auf dem Weg zum Flughafen erreicht mich nodh folgende SMS eines Freundes aus der Spielhallen-Szene: "verdammt! pulp haben SCHON WIEDER ihren albumtitel geändert [hinzu: 'We Love Life']. was soll das alles? kick asses in london." (foto b) Hm, wenn ass-kicking ein neues Wort für Wallfahrt ist dann bin ich dabei.

VAUXHALL AND PULP

Der erste Tag in London. The empire strikes back. Mark ist nicht zu erreichen, und in düsteren Augenblicken können wir es ihm nicht einmal verdenken, schließlich ziehen wir nicht gerade die Nummer ab, für die Indie-Understatement-Journalismus berühmt geworden ist. Und so tauchen wir abends auch bei der Feier von Jarvis' 38. Geburtstag auf. Er feiert nicht im kleinen Kreis, sondern mit dem Desperate Sound System, das er mit Pulp-Bossist Steve Mackey betreibt. Damit rockt er einen sonst als Fetisch-Club fungierenden Laden im Londoner Süden. Aussteigen bei Vauxhall. Kontrolle: also Hintertür des Clubs (foto c). Läuft nicht. Vorne am Einlass berufen wir uns auf die Pulp Managerin Jeanette und hoffen, dass sich noch nicht bis zu diesem Türsteher herumgesprochen hat, dass wir uns mit ihr längst per Mail überworfen haben. Hat sich nicht, also rein do. Diese Party findet sich bei aller Liebe exzellent beschrielben von Kollege Venker in der Rubrik "Das War's" in dieser Ausgabe.

Nur soviel noch: Erstens. Steve und Jarvis legen eine verdammt wilde Mischung auf (foto d), let's dance. Trotzdem scheint, dass ihre Idee von Pop und Pulp auch in diesem amorphen best of Manchester Rave, Hedo-House, Northern Soul immer nach stark zu spüren ist. Zweitens. Jarvis taucht, nachdem er nicht mehr hinter den Turntables agierte, noch kurz auf dam zweiten Floor auf. Mit beschlagener Brille und einer jungen Frau zugetan. Dabei wollen wir ihm nun auch nicht im doppelten Sinne uneingeladen dazwischenfunken. Magazin ist Magazin, und Party-Clash ist ebensolcher. Unsere Chance wird noch kommen. Sicher. Wir gehen ihn hier und jetzt nicht an. Okay. Drittens. Allerdings ärgere ich mich noch jetzt, den anwesenden Boy George nicht angesprochen zu haben. AlIzugern hätte ich dem kleinen Mann mit dem großen schönen Hut gesagt, wie ich as fand, dass er seine Heroinsucht und nach deren Überwindung seine durch Hare Krishna inspirierte Spiritualität (der beste Boy-George-Song ganz sicher: "Generations Of Love") so verletzend often in die Öffentlichkeit reinhielt. Geil musste man das und ihn finden, finde ich.

PLACES ON FILM

Die nächsten Tage werden damit verbracht, sich dem Vibe der Band und dem mittlerweile vorliegenden Werk weiter anzunähern. Wir suchen Mark Webbers Adresse auf glotzen verspackt auf sein Haus (foto e), finden as dabei nur konsequent, das auch noch zu fotografieren. Wir haben's ja. Und zwar richtig. An unserer Seite kommt der Fotograf Dominik Gigler zu seinen ersten Casual-Shots von Gebäuden. Zudem lässt er dem Unterfangen seine Ortskenntnisse und freie Fahrten im VW-Golf zukommen. Damit können wir was anfangen. Genauso wie mit dem Anlaufpunkt eines Fish 'n' Chips-Lokals in Covent Garden (foto f). Dort isst Jarvis ab und an. Take a picture. Weniger Gala-maßig geht es beim Besuch des Studios zu, in dem das neue Pulp-Album entstanden ist. Im Metropolis Studio (fotos g, h) von Primal Screams Bobby Gillespie. Wir sehen die Geräte. Something in the air tonight spüren wir medial veranlagten Typen. Mittlerweile ist sogar ein Interviewtermin mit Jarvis und Steve den Tag darauf bestätigt. Vielleicht hat sich Webber ja bei Cocker dafür eingesetzt, dass dieser gefälligst mit den Medien reden soll, damit nicht noch mehr Slacker-Paparazzi vor seinem Haus (foto i) auftauchen. Wahrscheinlich aber fühlt sich die Band einfach in der Pflicht zu reden.

Wie nötig das ist, macht jeder Umloaf des neuen Albums in unserem Hotelzimmer nahe Paddington Station klar. À la "etwas ist anders, und meine Kleider gefallen mir nicht mehr, ich kenne diesen Geschmack im Mund, doch ich weiß nicht mehr woher." Diese Platte ist schön. Anders.

TREES ARE MY REALITY

Sie ist vor allem erst mal auch auf der Suche. Es hatte sich ja bereits abgezeichnet, dass der Hardcore-Hedonismus seine Klassik mit der Platte gleichnamigen Subjekts erreicht hatte. Und es muss davon auszugehen sein, dass an dieser Stelle das Ästhetische mit dem Empirischen gleichzusetzen ist. Soll heißen, Pulp suchten in den letzten Jahren nicht bloß Auswege für die neuen Tracks, sondern auch für sich selbst. Help the aged, dann hilft dir Gott. And also the trees - Jarvis Cocker, der dieses Album zu seinem persönlichsten machte und so wenig Einfluss wie nie vom Rest der Band zuließ, fand dabei die Natur. Antagonismus rules olé, aber banal ist dieser Weg von der völlig artifiziellen Urbanität hin zum Leben in der Country-Side wirklich nicht. Zuerst mug man vielleicht dem Eindruck erliegen, dass dieses offerierte Naturbild, dieses vermeintlich distanzlose Entdecken von Schönheit einen romantischen, gar romantisch-verklärten Antrieb besitzt. Ein bisschen Clemens Brentano und Achim von Arnim in Pop und des Knaben Wunderhorn revisited. Doch dafür ist "We Love Life" viel zu verästelt, viel zu selbstreflexiv, viel zu wissend und wirr. Jarvis wirkt nach der Verstimmlichung der dandyesken Ausgehgesellschaft nun eher wie ein exzentrischer Aristokrat, neu hinzugewonnene Ländereien durchschreitend. Der im Morgengrauen auf die Bäume (und seine eigene erblühte Empfindsamkeit) mit einem Martini anstößt. Um dann in die Aussage zu münden: "those useless trees produce the air that I am breathing." Isn't that ironic, wenn auch beispielsweise der von einem Germälde Gary Humes inspirierte Song "Birds In Your Garden" mit Vogelgezwitscher unterlegt ist? Jarvis wird das tatsächlich verneinen im Gespräch. Keine Koketterie, keine gekreuzten Finger auf dieser Platte. Durchatmen - das will echt sein. Und es ist wirklich Zeit zu reden, zu fragen. Genug gesucht.

COLONISATION IS OVER

Wir warten in einem seltsam eingerichteten Hotel. Auf Jarvis. Die bereits Anwesenden - unter ihnen ein paar für zwanzig Minuten Gruppen-Interview eingeflogene Kollegen der Journaille - schwärmen davan, wie es sein müsste, hier mal zu nächtigen, in diesem in Kolonial-Stil vollgestopften Kuriositätenkabinett post-feudaler Opulenz. Exotismus in jedem der tausend Details pro Quadratmeter. Teppiche an der Wand, ornamentierte Spiegel, überbordend gefüllte Obstscholen, riesige massive Stühe und Tische, die keinen Platz lassen würden für 5-Minuten-Terrine und kleine Brötchen, hier wird getafelt. In Wahrheit müsste man, wohnte man hier, aber doch nur ständig mit dem anwesenden Besitzer über die brüllende Schönheit seines Tempels reden und lebte ständig mit der Angst, eine der Bodenvasen zu zerdeppern oder überhaupt nur etwas von dem ganzen Zeug zu berühren, das in dieser Inszenierung so viel wertvoller scheint als man selbst. Jarvis hat sich die Location nicht ausgesucht, Denn als er den Zeitplan demolierend viel zu spät auftoucht, begründet er das u. a. damit, nicht hergefunden zu haben. Dann endlich die Gelegenheit, mit ihm zu sprechen (fotos j, k). Nach einer knappen halben Stunde wird er bereits gehen müssen. Wir, wie immer in dieser Story nicht gerade schüchtern, locken Steve (foto l) in eine gemütliche Sofaecke, um noch ein bisschen über das Desperate Sound System zu reden, wir wissen ja, wie wichtig das den beiden ist - und werden selbstredend auch andere Topics anschneiden. Nicht begegnet sind uns auf diesem Trip somit die Keyboarderin Candida Doyle und Drummer Nick Banks. Jarvis Cocker trägt ein Badge mit der Aufschrift "I'm desperate", ist genauso stylish wie nachlässig frisiert und wirkt weniger redescheu als proklamiert wurde, Steve dagegen trägt die Haare kurz und kaum etwas Excaltiertes in Gesten und shape mit sich - und kommt so im wertneutralsten Sinn normaler rüber als sein Partner. Lass es geschehen, jetzt.

Wie groß ist eure Zufriedenheit, dass die Arbeiten zu dieser Platte jetzt endlich vorbei sind?

Jarvis: Es ist schon komisch, wenn du so lange an einem Album arbeitest... Bei anderen Platten kam es mir immer so vor, als würde ich Aufnahmen machen, bloß, damit ich jeden Morgen etwas habe, wohin ich gehen muss. Ins Studio. Ein seltsamer Grund, eine Platte zu machen. Diesmal war es komplett anders, ich habe gewusst, dass ich wirklich etwas entstehen lassen will. Teilweise war das sehr anstrengend und sah manchmal so aus, als ob die einzige Möglichkeit, das zu beenden, Selbstmord wäre. Wir haben wirklich lange gearbeitet und gesucht. Denn wir wollten diese Platte nicht einfach machen, aus dem Grund, die nächste Platte machen zu müssen, sondern aus dem richtigen Grund. Es ist schon seltsam, ich fühle mich komisch damit, dass die Platte erscheint. Klar macht man Alben, und dann möchte man, dass die Leute sie kaufen - sonst würdest du sie nicht in die Lädenstellen. Alber ich glaube, von dieser Platte schon alle Befriedigung bekommen zu haben. Mehr geht eigentlich nicht - und sie ist noch nicht mal draußen in diesem Moment. Aber wenn sie dann endlich erscheint, kann man davon ausgehen, dass sie eine große Bedeutung für uns als Band hat - und uns als Band auch widerspiegelt. Vor allem auch, weil wir den Songs darauf mehr Raum gegeben haben. Es ging sicher nicht darum, irgendwie unplugged zu klingen, es sollte sich einfach nur zwischen uns und ein paar Instrumenten abspielen. Klar kann man Alben machen mit sehr viel Bombast, auf den danach noch mal vier Sounds drufkommen. Das kann auch funktionieren. lch weiß es, wir haben solche Platten gemacht. Aber darum ging es bei "We Love Life" wirklich nicht. Es sollte näher an uns dran sein einfach.

Was hat sich denn aber wirklich abgespielt in dem Erstellungsprozess? Mark erzähite uns, ihr habt den Produzenten gewechselt, Songs drei- oder viermal eingespielt.

Jarvis: Mark war allerdings der, der uns dazu bringen wollte, viele der Songs wieder obzuschießen, ich weiß nicht, ob er das auch gesagt. Er war die Songs leid und wollte, dass wir neue schreiben. Und, okay, wir haben ein paar Songs wirklich verworfen. Mit dem ersten Procuzenten nahmen wir acht Songs auf, und sechs überlebten. Zwei wurden gekillt. Aber ich bin sicher, sie kommen noch raus irgendwann. Wenn du aufnimmst und versuchst, einen Moment festzuhalten wie wir, ist das natürlich nicht leicht, wenn du den Moment immer wieder und wieder beschwören willst. Einige Songs nahmen wir dreimal auf. Es geht ja darum, die Freshness zu bewahren da muss man vorsichtig sein - und die Tatsache, dass uns das gelungen ist, ist die größte Befriedigung für mich.

Welche Rolle spielt für euch das Älterwerden in Pop, das ihr ja schon über Songs des letzten Albums ["Help The Aged"] transportiert habt. Dort aber sehr glamourös, drogig, sexy und hedonistisch. Und hier mehr auf einer folkigeren, naturverbundeneren Art - ihr singt über eure Vergangenheit in Sheffield, über die Unmöglichkeit, Iängere Beziehungen zu führen. Ist das ein anderes Konzept jetzt, oder eher ein ironischer Ansatz? Also: "Hey, ihr wollt ein schönes Leben im Alter? Okay, hier ist es und der schöne Soundtrack dazu."

Jarvis: Nein, für uns spielt einfach geistige und physische Gesundheit eine große Rolle. Und der Lifestyle, den wir führten und der uns zu "This Is Hardcore" brachte, war einfach nicht mehr gesund. Wir mussten uns davon lösen und etwas Neues finden, persönlich empfand ich diese Notwendigkeit schon als sehr desillusionierend. lch musste aber wieder etwas Positives finden, etwas, dem ich glauben konnte und wollte. Und so habe ich mich auf die einfachen fundamentalen Dinge zubewegt. Bäume und so was, und ich kann mir vorstellen, dass Leute das für einen Witz halten, aber es ist keiner für mich. lch war deshalb auch sehr sorgfäItig bei den Texten des Albums, ich wollte sehr schlicht schreiben, nicht zu viele jokes oder so was. Klar, dabei gehst du immer das Risiko ein, wie ein Trottel auszusehen, aber ich denke, das Risiko musst du in Kauf nehmen sonst produzierst du nur mediokren Mist.

Also, du traust dir wirklich selbst, wenn du dich in der Natur auf die Suche begibst?

Jarvis: lch versuche es, ich verstehe die Natur nicht wirklich. lch lebe in der Stadt - nicht auf dem Land, schon immer. lch könnte mir sogar kaum vorstellen, auf dem Land zu leben, aber es war für mich wichtig, den Kontakt zu suchen.

Bist du in Wälder gegangen und hast dich finden lassen? Oder wie muss sich das vorgestellt werden?

Jarvis: lch habe in der Tat viele Spaziergänge auf dem Land gemacht. An Worchenenden und so. lch habe Bücher gekauft, die dir die Namen von Bäumen verraten. Dass mir keiner darüber lacht. Und ich habe versucht, verschiedene Arten von Vögeln an ihrem Zwitschern zu identifizieren. Klingt ein wenig trostlos - aber so ist es gewesen. Wichtig ist eben auch: ich habe mich nicht eins mit der Natur gefühlt, sondern ich ging erst mal hin, um zu beobachten, was so los ist out in the wild. Und es ist einfach eine falsche Zuschreibung, wenn Leute immer das Bild in sich tragen, Natur sei so schön und harmonisch. Natur handelt natürlich auch viel von Konflikten und Tod, Erneuerung und Kampf. Dieses sich gegenseitig Essen von Tieren, das Kämpfen um Territorien und so ein Kram. Das alles ist ziemlich beängstigend.

Du landest van Naturbeschreibungen allerdings immer wieder auch bei Beziehungen. Wieso diese Kausalität?

Jarvis: Soweit es Beziehungen betrifft, ist es so, dass die Leute einfach nicht wirklich ihrem Herzen folgen. Ich meine, wir leben in einer Welt, die voll ist von Images, was schön zu finden ist und was man zu begehren hat. lch bin sicher, solche Bilder finde ich auch in eurem Magazin, [blättert das Intro auf - Iandet bei Built To Spill] oh, not them. Egal, in vielen Magazinen sind Dinge, die du begehren sollst. Du denkst, du willst sie haben. Und so ähnIich ist es mit Beziehungen, da sind Dinge, von denen du glaubst, dass du sie nötig hast, die dir aber letztlich gar nichts bedeuten. Der Song "Birds In Your Garden" handelt ein wenig davon. Die Figur, die da nicht mit der Frau ins Bett geht, ist so damit beschäftigt, sich zu überlegen, was sie nun begehren soll, was nicht, dass man zu dem Schluss kommt, es wäre besser, den lnstinkten zu folgen.

Mir kommt die Erzähler- Person des Albums wie ein Aristokrat, der durch dieses Topos der Natur lustwandelt, aber nie diesen artifiziellen, exzentrischen Blick ablegt bei seinen Beobachtungen. Would you agree on that?

Jarvis: Nicht ganz, Es war für mich schon eine Entscheidung, mich natürlicher zu bewegen. Sicher gibt es immer noch eine Distanz, aber die wollte ich nicht künstlich hochhalten. Natürlichkeit ist einfach eine bessere Inspiration, als berühmt sein zu wollen. Oder ein Yakuzi haben zu wollen.

Gibt es ein Zurück zu so was wie "This Is Hardcore"?

Jarvis: Zurück bestimmt nicht. Das jetzt ist eine neue Periode unseres Lebens, aber wir bewegen uns sicher noch weiter - wo zur Hölle auch immer hin. Zu bestimmten Zeiten während der Aufnahmen habe ich gedacht: Ja, ich werde sicher irgendwann aufs Land ziehen. Aber das glaube ich mittlerweile nicht mehr. I think I'll go mad.


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Jarvis, kennst du Künstler wie Bobby Conn oder Terre Thaemlitz? Ich frage das, do sich beide over the top inszenieren als Gender-Akteure im Sinne Judith Butlers. Bei der Rezeption deiner Person ist ja oft von Androgynität die Rede, weshalb es mich interessieren würde, wie du eine konzeptionell extrem weit gedachte Inszenierung von Androgynität wahrnimmst und bewertest?

Steve: lch kenne sie...

Jarvis: [sichtlich verwirrt] Ach, du weißt, wovon er spricht? Is he insulting me? Muss ich ihm eine reinschlagen? [lacht]

Steve: lch finde Terre Thaemlitz sehr reizvoll. Es ist ein sehr intellektueller Ansatz, finde ich. Aber da gibt es wenig Berührungspunkte zwischen Jarvis und ihm.

Aber Jarvis erzählte, dass er einst in Frauenkleidern durch Sheffield lief, um sich zu emanzipieren und abzugrenzen, und das ist etwas, das auch Bobby Conn auf der Bühne macht. Und genauso spielt Thaemlitz mit den Zuschreibungen weiblich und männlich in seinen Werken. Nichts, was ich glaube, dass du es auch machen solltest, aber es interessiert mich, wie du dazu stehst.

Jarvis: lch bin von Frauen aufgezogen worden. Es gab keinen männlichen Part in meiner Jugend. Das hatte natürlich einen Einfluss auf mich - aber ich bin keine Frau.

Steve: Wir haben allendings viele Songs, die aus der Perspektive einer Frau geschrieben sind.

Jarvis: Aber das mache ich mittlerweile nicht mehr so sehr. Vielleicht, weil ich zu lange schon mit den Jungs rumhänge. lch glaube, es tut dir nicht gut, wenn du Frauen so nahestehst und in der Lage sein willst, sie besser zu verstehen, als ein Mann dazu in der Lage ist. Das macht eine Beziehung schwierig, denn diese Nähe, so komisch das klingen mag, bringt nur durcheinander. Es hat meine Beziehungen zumindest immer durcheinandergebracht.

Was hat es denn mit dem sich immer wieder ändernden Plattentitel auf sich?

Jarvis: Wir wollten mit dieser Platte ein positives Statement lancieren, ohne dass sich die Leute davor ekein müssen. Wir mochten "Pulp Love Life", aber es sah nicht gut aus. Mit dem Herzen als Love-Zeichen wirkte es wie Seventies-Mist. Dennoch war uns die Message sehr wichtig. Wenn alle das Leben lieben würden, müssten sie sich nicht gegenseitig umbringen.

Da spielen natürlich auch die Lebensbedingungen eine Rolle. lch habe dieses eine Zitat von euch noch im Ohr von '95. Das lautete, dass ihr keine Musik für das Proletariat machen wollt. Ist das immer noch euer Ansatz, oder wollt ihr mit dem neuen Ansatz nicht doch auf alle zugehen? In dem Song "Weeds" redet ihr ja offensichtlich anders über die unterschiedlichen Klassen.

Steve: Also, erst mal sind wir allgemein einfach vorsichtig, politische Stellung zu beziehen in unserer Musik. Man musszur Kenntnis nehmen, dass Jarvis eine Figur ist, du kannst seine Politik einfach verstehen über ihn, über diese Figur. Das kommt zusammen rüber, es ist nicht, dass er es in einem Song sagt. Seine Persönlichkeit und sein Handeln sagen für mich eine Menge mehr als irgendwelche Gesten. Ich möchte Bands, die das tun, nicht kritisieren. Aber ich finde, Politik sollte von der Art, wie du lebst und wie du auftrittst, illustriert werden. lch finde, es liegt doch auf der Hand, wofür Menschen stehen und wofür nicht. In jeder Aussage spiegelt sich das bei einer Band wider, im Artwork, in den Songs, in ihrem neuen Video. Wir kommen von starken politischen Ideen, die wir nur nicht derart über Songtexte vermitteln wollen.

Wie stark ist Pulp eigentlich auf Jarvis fixiert?

Steve: Jarvis ist eine Persönlichkeit. Er ist aufregend. Wenn ich ihn einfach so sehen würde, würde ich rasend werden würde mehr über diese Person wissen wollen. Er wird auf der Bühne richtig lebendig, und er hat keine Angst, Gefühle zu zeigen - das ist nicht üblich für Künstler, viele können das ausschalten. Und für seine Fähigkeit, Dinge - in Texten und "Shows" - auszudrücken, die sehr berührend und zur selben Zeit sehr selbstverletzend sind, bewundern ihn die Leute. lch glaube wirklich, nicht viele Songwriter haben diese Gabe. Nick Cave vielleicht noch. Es ist einfach leicht, von solchen Menschen berührt zu werden. Die Leute staunen, wie ein Mann so expressiv sein kann. Und darüber hinaus ist er einfach ein verdammt guter Popstar.



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